Dr.Deerberg Leserbrief an das Hamburger Abendblatt

Sehr geehrte Frau Emmrich, sehr geehrte Redakteure, 

 

als langjähriger Abonnent und Leser Ihrer Zeitung danke ich immer wieder für Ihre besonnene Art der Zeitungsgestaltung und Berichterstattung. Nun bedaure ich aber, die Überschrift auf Seite 1 vom Hamburger Abendblatt vom 02.05.2019 lesen zu müssen.

 

Sie suggerieren, daß nur 93,5 % der Erstklässler geimpft sind.

 

Bei der MCV1, der ersten Masernimpfung, liegt die Durchimpfungsrate in Deutschland seit 2010 teilweise deutlich über dem Mittel der Durchimpfungsrate der Länder, in denen die Masernimpfung verpflichtend vorgeschrieben ist - zuletzt zwei Prozent höher. Dieser Umstand ist in der Diskussion von überragender Bedeutung, denn er führt das mantraartig wiederholte Lamento der Verfechter einer Impfpflicht ad absurdum, dass es an den vielgescholtenen impfkritischen Eltern und Ärzten läge, dass wir die Masern nicht, wie von der WHO so ersehnt, ausrotten könnten: 97% der Eltern in Deutschland entscheiden sich für eine Masernimpfung, und dies völlig ohne jede Zwangsmaßnahme.

 

Tatsächlich sind aber in HH 96,7 % der Erstklässler (Zahlen von 2016) MCV! geimpft und nur 93,5 % zwei Mal (MCV2).

 

Das erfährt der Leser, aber erst nachdem er den Artikel anfängt zu lesen. Damit wollen Sie offenbar aufschrecken. In der jetzigen politischen Situation, die lauthals nach einer Impfpflicht schreit und damit grundgesetzverbürgter Rechte einschränken will (z.B. Recht auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit und Recht der Eltern auf Erziehung und Pflege), sollten Sie eine aufklärende Position einnehmen. Selbst der wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht in einem aktuellen juristischen Gutachten keine rechtliche Grundlage für eine generelle Masernimpfpflicht in Deutschland.

 

In der immer hysterischer werdenden Debatte durch überwiegend fachfremde Politiker vermisst man den Hinweis darauf, dass alle wirklich relevanten Fachleute: der aktuelle STIKO-Vorsitzende Prof. Mertens, sein Vorgänger Dr. Jan Leidel, der Präsident des RKI Prof. Wieler und vor wenigen Tagen auch noch einmal der Chef der Abteilung für Impfprävention am RKI, Dr. Ole Wichmann vor einer Impfpflicht ausdrücklich zu warnen. Auch der Ethikrat mahnt zur "Zurückhaltung gegen pauschale Zwangsmaßnahmen in die Allgemeinbevölkerung hinein". 

 

Ich sende Ihnen die Stellungnahme vom Deutsches Netzwerk Evidenz-basierte Medizin e.V. (EbM-Netzwerk) Berlin von heute.

Darin heißt es: „Die mediale Berichterstattung ist wenig differenziert. Es scheint nur „Impfbefürworter“ oder „Impfgegner“ zu geben. Generalisierend wird von „den Impfungen“ gesprochen. Lagerbildung und Simplifizierung werden der Komplexität der einzelnen Impfverfahren jedoch nicht gerecht. Wir können ja auch nicht behaupten, dass chirurgische Eingriffe generell nützlich oder abzulehnen sind, sondern analysieren jede einzelne Indikation und differenzieren die operativen Verfahren. So ist auch jede Impfung für sich unter den Aspekten von Wirksamkeit, unerwünschten Effekten und Kosten zu beurteilen. Allein die Impf-empfehlung durch die STIKO oder die Kostenübernahme durch die Krankenversicherung geben noch keinen Aufschluss über das langfristige Nutzen-Schaden-Verhältnis bei Implementierung eines Impf-verfahrens in ein Gesundheitssystem.“

 

Sie kauen, undifferenziert, dann im weiteren Verlauf des Artikels einfach die falschen Fakten wieder:

Es gibt keine schweren Masernausbrüche in den letzten Jahren.

 

Es gibt nur Schwankungen in den Erkrankungszahlen. Die Zahlen im mittleren Durchschnitt zeigen keine Zunahme, sondern ein langsames Absinken der Erkrankungszahlen.

 

Siehe Faktencheck hier:

 

impf-info.de/images/Med/Masern/

 

http://impf-info.de/images/Med/Masern/Faktencheck%20Hamburg.png

 

Im April 2019 warnen die europäischen Gesundheitsbehörden ECDC ausdrücklich vor einer (Wieder-) Zunahme von Masernfällen auch und gerade in Ländern, die die Masern schon eliminiert oder stark eingedämmt hatten - als besonders problematisch werden hier mit den höchsten Fallzahlen im Februar 2019 namentlich genannt:

  • Frankreich mit 188 Fällen (die französischen Behörden selber melden vom 01.01. - 22.04.2019 780 Fälle)
  • Polen mit 178 Fällen
  • Italien mit 160 Fällen (die italienischen Behörden selber melden vom 01.01. - 31.03.2019 557 Fälle)
  • Tschechien mit 115 Fällen
  • Belgien mit 90 Fällen

Bis auf Belgien gilt in allen diesen Ländern (teilweise schon seit vielen Jahren) eine Masernimpfpflicht...In Deutschland, das mit Abstand die höchste Einwohnerzahl der betrachteten Länder aufweist, wurden (ohne Masernimpfpflicht) im Februar 62 Fälle gemeldet. Quelle: http://impf-info.de/die-impfentscheidung/die-diskussion-%C3%BCber-die-impfpflicht/274-impfpflicht-un-wirksamkeit-update.html

Sie erwähnen zum Schluss Ihres Artikels, dass es keinen Einzelimpfstoff gegen Masern mehr gibt, dass also von einer Impfpflicht auch die Impfungen gegen Mumps und Röteln betroffen wären. Ausgeblendet wird, daß es sich dabei um völlig harmlose Kinderkrankheiten handelt.

 

Ausgeblendet wird, dass es religiöse Gruppen gibt, die unter keinen Umständen ihre Kinder impfen lassen - und für die ein Impfzwang eine grundgesetzwidrige Diskriminierung bedeuten würde.

 

Ausgeblendet wird, dass der Einfluss der Impfstoffhersteller auf die Impfempfehlungen zumindest in der Vergangenheit so groß war, dass es um das Vertrauen in die Impfempfehlungen bei vielen Betroffenen nicht zum Besten bestellt ist.

 

Ausgeblendet wird die katastrophale Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses durch eine Impfpflicht. Ich als Kinder- und Jugendarzt müsste dann die Eltern beim Amt melden? Welche Zwangsmaßnahmen wird sich unser Gesundheitsminister ausdenken für Menschen die eine spezielle Impfung ihrer Kinder ablehnen?

 

Eine Impfpflicht würde das Vertrauen weiter unterminieren. Besonders, wenn es sich plötzlich um alle von der STIKO empfohlenen Impfungen handeln würde.

 

Impfungen haben mit Vertrauen zu tun, denn es ist ein Eingriff an einem gesunden Kind. Mit Zwangsmaßnahmen wird es nicht gelingen, Vertrauen zu schaffen. Im Gegenteil. 

 

für die „Ärzte für individuelle Impfentscheidung eV“

Dr. Jost Christian Deerberg - Kinder- und Jugendarzt

Fischers Alle 39, 22763 Hamburg

 

P.S.: Bad Segeberg liegt in Schleswig-Holstein und hat im Vergleich zu HH sogar noch höhere Durchimpfungszahlen: MCV1 97 %, MCV2 93,7 %; Hamburg MCV1   96,7 %, MCV2 93,5 %).

P.P.S.: Als einziges Bundesland hat Hamburg keine Zahlen für die Durchimpfung mit der MCV1 für 2017 angegeben. Sie lag 2016 bei 96,7. MCV2 hat in HH sogar zugelegt, wenn auch bescheiden von 93,3 (2016) auf 93,5 % (2017).