Immunologische Schubumkehr

BERT EHGARTNER, 10. November 2021

 

Weite Teile Europas befinden sich in einer neuen Covid-Welle. Die Impfkampagnen brachten kaum Besserung im Vergleich zum Vorjahr. Für Regierung und Medien stehen die Schuldigen längst fest: Ungeimpfte und Genesene, deren positiver PCR-Test älter als sechs Monate ist. Sie werden nun vielfach vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Wissenschaftlich betrachtet ist das nicht nachvollziehbar, die Spaltung der Gesellschaft erscheint absurd. Die Daten zeigen: Genesene sind offenbar besser geschützt als Geimpfte. Ein Nutzen der Impfung wird derweil immer fraglicher – in Großbritannien haben Geimpfte ein teils mehr als doppelt so hohes Infektionsrisiko wie Ungeimpfte.

 

 

Ende März 2020 wurde meine Frau Elisabeth – mitten im ersten Lockdown – krank. Sie hatte Gliederschmerzen, leichtes Fieber und war entsprechend müde. Belastend war ein ausdauernder Husten, der sich erst nach zwei Wochen besserte. In Vor-Corona-Zeiten hätten wir das wohl für einen ganz normalen Infekt gehalten. Nun aber wählte Elisabeth die Telefonnummer des neu eingerichteten Corona-Notrufs und schilderte ihre Symptome. Der Diensthabende fragte, ob sie kürzlich in Italien war, oder Italien-Urlauber getroffen hätte. Nein, das hatte sie nicht. „In dem Fall kurieren Sie sich bitte aus“, lautete der Ratschlag, „wir haben derzeit nämlich nur geringe Test-Kapazitäten.“ Meine Frau kurierte sich also aus. Weder unsere 17-jährige Tochter noch ich selbst hatte Krankheitssymptome. Und bald vergaßen wir diese Episode.

 

Vor einigen Wochen waren wir alle drei beim Arzt, um uns Blut für einen Antikörper-Test abnehmen zu lassen. Zwei Tage später hielten wir die Resultate aus dem Labor in Händen: Meine Frau hatte 156 BAU („Binding Antibody Units“), ich 146 und unsere Tochter sogar mehr als 200. Der Grenzwert, ab dem genügend neutralisierende Antikörper vorhanden sind, war am Befund des Labors mit 15 BAU angegeben. Wir waren unwissentlich also längst Genesene – und zeigten fortan, wenn wir ein Restaurant oder Kino besuchten, statt dem Testresultat unsere ärztliche Bestätigung vor. Und das zählte gleichwertig mit geimpft oder getestet – denn wir leben in Österreich.

Berliner Freunde, die um die Weihnachtszeit 2020 eine ebenfalls unkomplizierte Covid-Erkrankung durchgemacht hatten, gelten nach dem Ablauf einer Frist von 180 Tagen nicht mehr als „genesen“, sondern als „teilweise geimpft“. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums wird das so erklärt:

 

„Nach Ablauf dieser Frist und bevor eine Impfung stattgefunden hat, gilt die Person als nicht vollständig geimpft und eben auch nicht als genesen.“

 

Eine 2G-Regelung hat für Genesene demnach ein Ablaufdatum und wird zu 1G: „Teilnahme nur für vollständig Geimpfte.“ Aus dem System des „Digitalen Impfnachweises“ fallen Genesene heraus, wenn sie sich nicht zusätzlich noch impfen lassen.

 

Immunität zweiter Klasse

 

In dieser Lage befinden sich mittlerweile rund acht Millionen Deutsche: Bei 3G-Vorgabe müssen sie sich ständig testen lassen, bei 2G sind sie vollständig ausgeschlossen. Denn im Vergleich zur Impfung besitzen sie – laut den aktuellen Vorgaben der Behörden – nur „eine Immunität zweiter Klasse“, wie das kürzlich Elke Bodderas, Redakteurin der ‚Welt‘ in einem Kommentar bezeichnete.

Eine im Oktober im New England Journal of Medicine veröffentlichte Studie aus Katar folgte rund einer Million geimpfter Personen, die den Impfstoff Comirnaty von Biontech/Pfizer erhalten hatten. Es dauerte bis zur dritten Woche nach der ersten Dosis, bis überhaupt ein Schutzeffekt erkennbar war. Er lag bei 37 Prozent und erreichte im Monat nach der zweiten Dosis mit 77,5 Prozent einen Höhepunkt. Danach nahm die Wirksamkeit allmählich ab, wobei sich der Rückgang nach dem vierten Monat beschleunigte und in den Monaten fünf bis sieben nach der zweiten Dosis etwa 20 Prozent erreichte.

 

Interessante Werte ermittelte eine vor wenigen Tagen am Lancet-Preprint-Server publizierte Studie aus Schweden, in der 1,6 Millionen Menschen in zwei gleich große Gruppen aufgeteilt wurden – die eine war vollständig geimpft, die andere nicht geimpft. 15 bis 30 Tage nach der zweiten Dosis erreichten die verschiedenen Impfungen den Höhepunkt ihrer Wirksamkeit. Die auch in Schweden am meisten nachgefragte Impfung Comirnaty startete mit 92 Prozent – fiel aber zwischen dem vierten und sechsten Monat auf Werte unter 50 Prozent. Nach dem 211. Tag konnte überhaupt keine Wirksamkeit mehr festgestellt werden. Moderna fiel in der Wirksamkeit etwas langsamer ab und hielt auch nach sechs Monaten noch bei 59 Prozent. Der AstraZeneca-Impfstoff startete schwächer als die beiden Konkurrenten – und erreichte bereits nach 121 Tagen den Nullpunkt.

 

Eine Wirksamkeit von 90 Prozent und mehr, wie sie nach den Zulassungsstudien weltweit in allen Medien verkündet worden war, erscheint – nach den bescheidenen Resultaten im Realitäts-Check – nun wie Blendwerk.

Die Resultate sind auch insofern interessant, als die Regierungen die Messlatte für die Zulassung der Impfstoffe ursprünglich auf eine relative Risikominderung von 50 Prozent festgelegt hatten. Der schwedische Mediziner Sebastian Rushworth schlussfolgerte aus den neuen Studienergebnissen:

 

„Hätte man also verlangt, dass die Versuche sechs Monate lang laufen müssen, bevor man Ergebnisse vorlegen kann, statt nur zwei Monate, dann wären die Impfstoffe als zu unwirksam angesehen worden, und sie wären nie zugelassen worden.“

 

Selbstschutz statt Herdenschutz

 

Besser als der Schutz vor Infektion scheint immerhin jener vor schwerer Erkrankung. „Die Wirksamkeit gegen kritische oder tödliche Verläufe von Covid-19 erreichte in den ersten zwei Monaten nach der zweiten Dosis 96 Prozent“, schreiben die Autoren der Katar-Studie, „das blieb sechs Monate lang ungefähr auf diesem Niveau.“

 

In der schwedischen Arbeit, die über einen längeren Zeitraum lief als jene aus Katar, startete der Schutz vor schwerer Erkrankung mit 89 Prozent auf ebenso recht hohem Niveau. Nach dem sechsten Monat gab es aber einen kräftigen Abfall auf nur noch 42 Prozent Schutz. Betroffen waren vor allem Männer, alte geschwächte Personen sowie Menschen mit Vorerkrankungen.

Alles zusammen genommen taugt die Impfung demnach ein halbes Jahr lang gut als Versicherung gegen einen schweren Verlauf – zum Schutz der „Herde“ hingegen weniger.

 

Dies belegt auch eine Mitte Oktober am Preprint-Server medRxiv veröffentlichte Arbeit der Universität Oxford in England. Die Studie schloss etwa 100.000 Personen mit positivem PCR-Test ein und prüfte, wie viele der rund 150.000 Kontaktpersonen von ihnen angesteckt wurden. Mehr als ein Drittel der Kontakte wurde in der Folge ebenfalls positiv getestet. Geimpfte steckten ihre Kontakte anfangs etwas seltener an. Der Unterschied war allerdings nicht beeindruckend.

 

Mit Vaxzevria von AstraZeneca Geimpfte, die sich kurz nach dem Impftermin trotzdem infizierten, hatten demnach eine Wahrscheinlichkeit von 57 Prozent, dass sie enge Kontaktpersonen mit Covid-19 anstecken. Bei Comirnaty-Geimpften war das Risiko mit 42 Prozent etwas geringer. Doch mit längerem Abstand zum Impftermin und speziell dem Wechsel von der Alpha- auf die Delta-Variante des Virus war es mit diesem Vorteil rasch vorbei. Bei Vaxzevria reichten drei Monate, bis es keinen messbaren Unterschied mehr gab. Nun steckten sich 67 Prozent der Kontakte an – und das entspricht exakt jenem Anteil, mit dem Ungeimpfte ihre Kontakte ansteckten. Bei Comirnaty lag das Infektionsrisiko für die Kontakte mit 58 Prozent nur marginal niedriger.

 

Geimpfte Infizierte stecken demnach ihre Umgebung nach einer gewissen Zeit ebenso effektiv an wie Ungeimpfte. Das oftmals in der Impfwerbung bemühte Motiv, „jene durch die Impfung zu schützen, die selbst nicht geimpft werden können“, fällt demnach weg.

 

Doppeltes Infektionsrisiko für doppelt Geimpfte

 

Aber auch der Eigenschutz versagt. Geimpfte haben nach einer gewissen Zeit ein ähnliches Risiko sich zu infizieren wie Ungeimpfte – oder sind sogar noch infektiöser. Wenn sich die von der britischen Behörde UK Health Security Agency veröffentlichten Zahlen als wahr und international übertragbar erweisen, so hat die Impfung definitiv ein Problem.

 

Seit Wochen zeigt sich in den Überwachungsberichten zu den Covid-19-Impfstoffen nämlich, dass vollständig geimpfte Erwachsene ab einem Alter von 30 Jahren SARS-CoV-2 offenbar magnetisch anziehen. Besonders krass ist dieser Effekt in den mittleren Altersgruppen, wo Geimpfte ein teils mehr als doppelt so hohes Infektionsrisiko haben.

 

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